Abbildung 1: Chani und die Fremen im Widerstandskampf (Villeneuve 2021: 00:01:39)
Denis Villeneuves Dune-Verfilmungen (2021,2024) wirken zunächst wie eine Hollywood-typische White Savior-Geschichte. Eine genaue Analyse zeigt jedoch ein differenziertes Bild: Die Dune-Reihe dekonstruiert diesen Topos und liefert strukturelle Kolonialismuskritik.
Die Filmreihe Dune beginnt damit, dass die Widerstandskämpferin Chani vom Schicksal ihres Heimatplaneten Arrakis erzählt. Dieser sei von Fremden mit einem einzigen Ziel besetzt worden: dem Raub von Ressourcen. Dass es sich hier um Unterdrückung handelt, wird durch Chanis Frage: „[…] who will our next oppressors be“ (Villeneuve 2021: 00:03:03) klar. Der narrative Rahmen ist also zu Beginn schon gesetzt: Es geht um Macht und Ausbeutung.
Dune handelt zunächst von einem Konflikt zwischen zwei Herrscherfamilien. Zu Beginn der Handlung werden die vormals auf Arrakis herrschenden Harkonnen durch ihre Rivalen, die Atreides, abgelöst. Dabei gehen die Atreides im Vergleich zu den rivalisierenden Harkonnen weniger brutal und menschenverachtend vor. Jedoch bleibt für beide Herrscher der Raub von ‚Spice‘ oberste Priorität, da diese für interplanetares Reisen notwendige Ressource ausschließlich auf Arrakis zu finden ist. Die Kontrolle darüber bringt enormes politisches und ökonomisches Potential mit sich. Spice besitzt für die auf Arrakis heimische Population der Fremen einen religiösen Stellenwert, weshalb diese sich dem Raub der Ressource widersetzen. Um eine reibungslose Ressourcenextraktion zu gewährleisten, muss vom Standpunkt der Besatzungsmacht die heimische Bevölkerung unterdrückt werden. Die Atreides, die bei offiziellen Paraden mit Dudelsäcken auftreten, werden in der Filmreihe implizit als Weiße markiert, während die Fremen, die in Sprache und Kleidung ein Amalgam diverser arabischer Kulturen assoziieren, im globalen Süden verortet werden.
Dune folgt der Geschichte von Paul, dem Erben des Atreides-Clans, dessen Vater zu Beginn der Handlung das Mandat zur Verwaltung von Arrakis erhält. Die Atreides werden allerdings Opfer einer politischen Verschwörung und erneut durch die brutalen Harkonnen ersetzt. Paul und seine Mutter Lady Jessica müssen fliehen und finden Zuflucht bei den Fremen. Beide werden von ihnen akzeptiert und führen schließlich auch eine Revolution der Fremen gegen die brutalen Kolonialherren an. Es macht zuerst den Anschein, man habe es bei Dune mit einer Neuauflage des in Hollywood so populären White Savior-Topos zu tun, wie man ihn beispielsweise aus Filmen wie The Last Samurai (2003), Gran Torino (2008) oder Avatar (2009) kennt. Das White Savior-Narrativ besteht darin, dass nicht-weiße Figuren von einer weißen Figur gerettet oder befreit werden. Ideengeschichtlich geht der White Savior-Topos auf die koloniale Rechtfertigungsgeste zurück, der zufolge Europäer:innen nicht-weiße Menschen ‚erziehen‘ oder ‚kultivieren‘ müssten, wodurch imperiale Unterdrückung legitim erschien.
Going Native
Pauls Aufenthalt bei den Fremen lässt sich als ‚Going native‘ bezeichnen. Hierbei handelt es sich um einen abwertenden Begriff der Kolonialzeit. ‚Going native‘ bedeutet, dass eine kolonisierende Person nach dem Geschmack anderer Kolonisator:innen etwas ‚zu viel‘ Zeit mit den Kolonisierten verbringt und ihnen immer ähnlicher wird. Vor dem rassenideologischen Hintergrund des Kolonialismus ist dies ausschließlich negativ zu verstehen, da es zu einem ‚zivilisatorisches Herabsinken‘ der vermeintlich überlegenen Kolonisator:innen führt. In diesem pejorativen Begriff kommt die rassenideologische Hierarchie kolonialer Denksysteme zum Ausdruck (vgl. Hamann/Kißling 2017).
Das ‚Going native‘ ist aber auch Bestandteil einer bestimmten Spielart des White Savior-Topos, da durch das Leben in einer nicht-weißen Kultur die Figurenmotivation, zur/m ‚Erlöser:in‘ dieser Kultur zu werden, erklärt wird. In dieser Perspektive wird das ‚Going native‘ nicht pejorativ verstanden, sondern im vermeintlich positiveren Sinne verwendet, der jedoch genauso Othering erzeugt. In der Dune-Reihe äußert sich das Othering dadurch, dass (vermeintlich) positive Aspekte der Fremen hervorgehoben werden. Die Fremen werden dabei als Bevölkerung festgeschrieben, deren Technologie auf ein Zusammenleben mit der Natur ausgerichtet ist, während die Technologien der Besatzer auf die Unterwerfung der Natur abzielen. Dadurch wird eine – im Vergleich zur Besatzungsmacht – stärkere Bindung an die Natur suggeriert und so die kolonial-rassistische Binarität Natur/Kultur aufgerufen. Eine Nähe zur Natur geht mit einer Distanz zur Zivilisation einher und assoziiert so – wenn auch in vermeintlich positiver Intention – ein zivilisationsgeschichtliches Narrativ.
In Dune findet dieser Begriff des ‚Going native‘ explizit Verwendung, als der zur Aufklärungsmission vorgeschickte Duncan Idaho die Nachzügler der artreidischen Hauptstreitmacht trifft. Idaho, der eine Ausrüstung der Fremen trägt, zeigt den Atreides-Soldaten fasziniert die fortschrittliche Technologie. Darauf wird Idaho lachend gewarnt: „My God, man, you‘ve gone native“ (Villeneuve 2021: 00:55:55).
Dieser explizite Verweis auf einen kolonialen Begriff verankert – neben dem Thema der Besatzung und der Verwendung des White Savior-Topos – die Dune-Filme in aktuellen (post-)kolonialen Diskursen. Die Interpretation der Herrschaftsverhältnisse in Dune als kolonial bestätigt sich auch in der genaueren Analyse der Ausbeutungssituation. Die militärisch durchgesetzte Fremdherrschaft mit dem Ziel der Ausbeutung von Bodenschätzen weist große Ähnlichkeiten zum historischen europäischen Kolonialismus auf (vgl. Zimmerer 2012) und bietet damit eine Lesart an, die diegetische Welt in Dune als eine koloniale zu lesen.
Duncan Idaho bleibt nicht die einzige Figur, die den Prozess des ‚Going native‘ durchlebt. Sowohl Paul als auch Lady Jessica leben für den Großteil der Handlung beider Filme unter den Fremen und nehmen zumindest teilweise deren Bräuche an. Dies geht so weit, dass Paul einen neuen Namen – und damit eine neue Identität – in der Sprache der Fremen annimmt. Paul zeigt dabei eine Affinität für die Gepflogenheiten der Fremen und wird schnell akzeptiert.
All dies lässt Teile der Fremen annehmen, dass es sich bei Paul um eine messianische Figur aus einer Prophezeiung handelt. Laut dieser zeichnet sich der Messias dadurch aus, dass er von einem anderen Planeten kommt, aber das Wissen und die Gebräuche der Fremen kennt oder schnell erlernt. Tatsächlich sind Pauls Vorkenntnisse aber keineswegs übernatürlicher Art. Paul lernte bereits vor seiner Ankunft in der Kolonie möglichst viel über Sprache, Kultur und Natur des Planeten und seiner Bevölkerung.
Prophezeiung und religiöser Eifer
Tatsächlich entstammt die Prophezeiung nicht der Kultur der Fremen. Stattdessen wurde sie von der Herrscherklasse konstruiert und vor langer Zeit mit dem Ziel in Umlauf gebracht, die Fremen-Population über diesen Glauben zu kontrollieren. Der Plan ist, dass die messianische Position von einem Vertreter der Kolonialmacht besetzt werden kann. Paul ist mit dieser Prophezeiung und ihrem Zweck vertraut und kann diese für sich nutzbar machen.
‚Going native‘ ist aber hier nicht nur eine strategische Entscheidung. Nach dem Verrat und Untergang der Atreides-Administration ist die einzige Überlebenschance für Paul und Jessica, bei den Fremen Zuflucht zu suchen. Als Paul und Jessica einige Zeit unter ihnen leben, wird klar, dass diese keineswegs so monolithisch sind, wie es aus der Perspektive der Fremdherrschaft wahrgenommen wird. Die Film-Reihe ist, da sie der Perspektive von Paul und dem Atreides-Clan folgt, zu großen Teilen aus Sicht ebendieser Fremdherrschaft erzählt und zeichnet so deren Überzeugungen und Ideologien nach, um sie zu hinterfragen.
Tatsächlich glauben längst nicht alle Fremen an die Prophezeiung eines gottgesandten Freiheitskämpfers, lediglich die Fundamentalist:innen unter ihnen teilen diese Überzeugung. Ein substanzieller Teil der Freiheitskämpfer:innen, angeführt von Chani, steht dieser Prophezeiung kritisch gegenüber und glaubt, dass Befreiung nur über den eigenen Widerstandskampf erreicht werden kann. Sie rebellieren gegen die Besatzer:innen, indem sie deren Infrastruktur angreifen.
Jessica wird zu einem dem ‚Going native‘ ähnlichen Prozess gezwungen, nutzt dies jedoch auch, um eigene Ziele zu verfolgen. Ein Vertreter der fundamentalistischen Fremen zwingt sie, die Rolle der religiösen Führerin zu übernehmen, wie es für die Mutter des Messias ‚prophezeit‘ worden sei. Genauso wie Lady Jessica handeln die Fundamentalist:innen in vorauseilendem Gehorsam, um die Voraussetzungen der Prophezeiung zu erfüllen. Jessica arbeitet jedoch daran, die Macht wiederzuerlangen, die sie und Paul verloren haben.
In ihrer Rolle als religiöse Führerin der Fremen nutzt Jessica ihren Einfluss, um breitere Unterstützung für Paul als Messias zu sichern und die Ungläubigen unter den Fremen zu Anhänger:innen zu bekehren. Hierbei fokussiert sie sich gezielt auf die Schwachen und Anfälligen, da diese am leichtesten zu manipulieren sind (vgl. Villeneuve 2024: 00:34:42). Die religiöse Prophezeiung wird genutzt, um die Fremen ideologisch zu beherrschen.
Paul wiederum verdient sich als Freiheitskämpfer Ansehen und lehnt es zunächst ab, die Rolle des Messias zu spielen. Während seiner Zeit mit den Freiheitskämpfer:innen durchläuft er diverse Initiationsriten. Paul und Jessica avancieren zu religiösen und militärischen Führungspersonen in der eigentlich egalitären Kultur der Fremen. Als sich die Widerstandskämpfer:innen, denen Paul angehört, mit der militärischen Übermacht der Harkonnen konfrontiert sehen, scheint der einzige Ausweg darin zu bestehen, die zersplitterten Fremen unter Paul als Messias zu vereinigen. Die militärischen Misserfolge verändern Pauls Perspektive: Anstatt, wie bisher, die Manipulation durch die Prophezeiung abzulehnen, zeigt er sich nun bereit, eine Rolle als Anführer einzunehmen.
Obwohl die Atreides in Kontrast zu den gewalttätigen Harkonnen präsentiert werden, zeigt sich hier, dass die Atreides nur eine andere, subtilere Form kolonialer Machterhaltung nutzen. Ihre Gewalt ist nicht militärisch, sondern wirkt religiös-ideologisch durch epistemische Strategien, also durch die gezielte Produktion ‚falschen‘ Wissens. Religiöse Ideologie wird genutzt, um die eigene Machtposition über die Kolonisierten zu sichern, selbst nachdem die Atreides die institutionelle Macht vorläufig verloren haben. Dabei führen Paul und Jessica als Vertreter:innen der neuen Herrscherklasse die Logik der kolonialen Hierarchie in eine egalitäre Gesellschaft ein.
Aufrechterhaltung des kolonialen Systems
Paul erklärt sich selbst zum Messias und damit zum militärischen und religiösen Anführer der Fremen sowie auch zum Erben seines Vaters und zum Herzog von Arrakis. Paul bedient sich also einer Doppellegitimation: Einerseits versteht er sich als Widerstandskämpfer und Anführer der Fremen. Anderseits ist er als Herzog von Arrakis Akteur des imperialen Systems. Ihm geht es somit nicht nur um die Befreiung von kolonialer Fremdherrschaft, denn der Befreiungskampf ebnet gleichzeitig den Weg für Pauls Aufstieg zum vermeintlich ‚guten‘ Kolonialherrn, bejubelt von den Fremen (Abb.3).

Abb. 2: Der Moment Pauls Machtübernahme (Villeneuve 2024: 02:05:57)
Hier zeigt sich, dass die Geschichte aus der Perspektive eines Kolonialherrschers erzählt ist. Trotz seiner Zeit bei den Fremen setzt sich Paul nicht für die Abschaffung des kolonialen Systems ein. ‚Befreiung‘ geht dabei mit Machtergreifung einher. Revolution bedeutet für den Profiteur des Systems höchstens einen Wechsel des Personals an der Spitze. Obwohl es Pauls Intention ist, die Fremen zu befreien, entwickelt die Macht hier eine Eigenlogik, die es Paul, der selbst an der Spitze des kolonialen Herrschaftssystems steht, unmöglich macht, einen Systemwechsel zu vollziehen.
Im Fortgang der Handlung führt Paul das vereinigte Fremen-Heer zu einem wichtigen Sieg über die Harkonnen und den mittlerweile angereisten Imperator. Im heroischen Zweikampf triumphiert er über den Erben des Harkonnen-Clans, während die Fremen im Moment der scheinbaren Befreiung nur zuschauen. So weit, so White Savior.
Da jedoch nicht alle Fremen religiöse Zeloten und blinde Anhänger Pauls sind, regt sich bald Widerstand: Chani erkennt im Moment seiner Machtergreifung Pauls Unvermögen, das System zu ändern, und wendet sich von ihm ab: Chani ist die Figur, die ausschließlich am Befreiungskampf und nicht an der Erfüllung einer angeblichen Prophezeiung interessiert ist. Ihr ist klar, dass nur ein Systemwechsel Freiheit für die Fremen bedeuten kann und die Prophezeiung nur eine Form der Fremdherrschaft ist: „This Prophecy is how they enslave us“ (Villeneuve 2024: 02:01:44). Ihr geht es in ihrem Widerstandskampf um die Befreiung von den kolonialen Verhältnissen und nicht um Paul; ihre Skepsis wird bestätigt, als Paul anbietet, die Tochter des Imperators zu heiraten. Dies würde seine Herrschaft an die Fortsetzung des Systems und damit die Unterdrückung der Fremen knüpfen.
Dune: Part Two endet mit einem Perspektivwechsel: Während Paul und Jessica den heiligen Krieg ausrufen, bleibt Chani auf dem Planeten zurück und blickt verbittert auf die abrückende Armee. Die bisherigen Ereignisse wurden aus der kolonialen Perspektive, nämlich aus Pauls Perspektive, geschildert. Für Paul, Vertreter der Kolonialmacht, bedeutet der Befreiungskampf, das Personal an der Spitze auszutauschen. Die Filme nutzen dazu über weite Teile Elemente einer White Savior-Erzählung, die erst nach und nach aufgebrochen wird.
Mit dem Wechsel der Perspektive zu Chani wird die Position der Kolonisierten aufgerufen. Pauls Machtergreifung mit seiner Rückbesinnung auf sein koloniales Erbe stellt für Chani einen Verrat da. Während die manipulierten Fremen mit Paul in einen heiligen, interstellaren Krieg ziehen, der dem Machtausbau des neuen Imperators dient, bleibt Chani zurück, um weiter für ihre Freiheit zu kämpfen: nicht nur für die Abschaffung des ‚schlechten‘ durch den ‚guten‘ Kolonialherrn, sondern für die Chance auf Abschaffung des kolonialen Systems. Durch diesen Perspektivwechsel wird der White Savior-Topos endgültig aufgebrochen.

Abb. 3: Chani blickt auf Pauls auslaufende Flotte. (Villeneuve 2024: 02:36:51)
Mit der Figur Chani bieten die Dune-Filme eine perspektivische Rahmung (Abb. 3). Sie war schon vor den Atreides auf Arrakis und verbleibt auch dort, während sich Paul auf den Weg zur nächsten Gewalthandlung macht. Diese Rahmung offenbart auch die Positionierung des Films: Dune ist ein antikolonialer Film, der über weite Strecken aus kolonialer Perspektive erzählt ist, sich dazu Elementen des White Savior-Topos bedient, diese schlussendlich aber umkehrt und durch die Übernahme von Chanis Perspektive Pauls koloniale Ideologie entlarvt. Dune partizipiert an klassischen Elementen der White Savior-Erzählungen, jedoch nur, um sie im Verlauf der beiden Filme zu reflektieren und als Form imperialer Unterdrückung sichtbar zu machen.
Filmnachweise
Dune: Part One (USA 2021, Regie: Dennis Villeneuve)
Dune: Part Two (USA 2024, Regie: Dennis Villeneuve)
Literaturverzeichnis
Hamann, Christof/Kißling, Magdalena: Going Native. In: Dirk Göttsche/Axel Dunker/Gabriele Dürbeck (Hg.): Handbuch Postkolonialismus und Literatur. Stuttgart 2017, 149–153.
Zimmerer, Jürgen: Expansion und Herrschaft: Geschichte des europäischen und deutschen Kolonialismus In: APuZ 62 (2012), 10–16.
Vorgeschlagene Zitierweise:
Düring, Paul: Going Native – Kolonialismus und der White Savior-Topos in Denis Villeneuves Dune-Filmen. In: moment-mal-ndl/Blog (23.09.2025), https://moment-mal-ndl.de/going-native-kolonialismus-und-der-white-saviour-topos-in-denis-villeneuves-dune-filmen/ (Abrufdatum).
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